Hallo und Assalamu Alaykum,
diesen Kommentar habe ich heute Abend der ARD Redaktion von Günther Jauch geschickt, da um 21:45 Uhr eine Sendung mit dem Thema „Gewalt im Namen Allahs – wie denken unsere Muslime?“ ausgestrahlt wird.
„Seit mehreren Jahren verfolge ich Sendungen dieses Themas mit ähnlichen Formaten. ARD, ZDF und WDR sind in ihren Inhalten und Gästen selten verschieden, betreiben sie doch ein ähnliches Ziel. Was sehr bedauernswert ist, dass das Ziel jeder dieser Sendung nicht dieses ist, um den islamischen Glauben und Muslime kennen und verstehen zu lernen, sondern sich nur auf die ausgelebten negativen Aspekte einer Minderheit im Islam konzentriert, was jedoch zum Problem führt, indem es den Muslimen – zumindest hier in Deutschland – das Gefühl gibt, in Sippschaft genommen zu werden, was die Verantwortung von Gräueltaten, die von Extremisten im Namen des Islams verübt werden.
In der Gegenwart müssen wir uns mit den grauenhaften Taten der ISIS im Namen des Islams beschäftigen. Sie vertreiben, vergewaltigen, töten, morden, ja, zum Teil ist es sogar ein Abschlachten und Hinrichten von Menschen, die ihnen in die Quere kommen. Jeden Tag gibt es neue Meldungen, dass weitere Dörfer in Syrien und im Irak von ihnen eingenommen worden sind. Es werden Zwangskonvertierungen durchgeführt, sonst wird getötet. Wer nicht vertrieben werden möchte, wird getötet. Es werden Frauen vergewaltigt, und teilweise auch getötet. Ausländische Journalisten werden vor laufender Kamera hingerichtet und die Videos ins Internet gestellt. Und all das im Namen des Islams. Während ich das schreibe, wird mir schlecht und ich bin kurz davor davonlaufen zu wollen, denn meine Religion wird massiv missbraucht und der Ruf der Muslime durch die Islamisten derart geschädigt, dass man Schwierigkeiten hat ein offenes Ohr in der nichtmuslimischen Gesellschaft zu bekommen, um zu erklären, dass diese Taten nicht islamisch sind.
Wer es bisher nicht zwischen den Zeilen gelesen hat: Ich bin deutsche Muslimin. Meinen Glauben lebe ich nicht nur, auch kläre ich über den Islam und Muslime auf, denn es gibt sehr viele Missverständnisse, nicht nur seitens der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft, deren Bild vom Islam und Muslimen primär durch die Medien geprägt ist, jedoch auch auf muslimischer Seite, da sich meines Erachtens viele Muslime in ihrem Glauben nicht ausreichend genug auskennen, was sie zur Zielscheibe von den Menschen macht, die dem Islam und den Muslimen ohnehin schon nicht wohlgesonnen sind – aufgrund der Taten von Einzelgängern, die sich leider Gottes dann zu Gruppen formieren, was nach Aufmerksamkeit schreit.
Der Titel der Sendung – wie leider bei so gut wie jeder Sendung zum Thema Islam und Muslime – ist eine Provokation, die nur dazu verführt mit einem negativen Gedanken in die Sendung zu gehen bzw. diese anzuschauen. „Gewalt im Namen Allahs – wie denken unsere Muslime?“ – wenn man sich die Worte durchliest, dann müsste einem doch folgendes durch den Kopf gehen: Die eingeladenen Gäste können nicht ‚für’ unsere Muslime sprechen, denn diese Hoheit besitzen sie nicht. In der heutigen Runde sind meines Erachtens zwei Muslime, die „die Muslime“ wohl vertreten sollen. Die Krux an der Sache ist, dass der eine Gast als „salafischer“ Prediger eingestuft wird und auch schon vom Verfassungsschutz beobachtet wird, während der andere Gast wohl die „liberale“ Seite des Islams vertreten soll. Die drei übrigen Gäste sind keine Muslime und aus vergangener Erfahrung heraus wird man allerhöchstens vom Bezirksbürgermeister Neu-Köllns ein paar neutrale (vernünftige?) Worte hören. Die anderen beiden Gäste kennt man schon aus vergangenen Sendungen und so weiß man, dass von ihnen nichts Produktives in dieser Hinsicht kommen wird. Es wird schlussendlich eine Stunde lang über dieses und jenes gesprochen, jedoch keine Lösungsansätze hervorgebracht werden.
Die Fragen „Wie berechtigt ist die Furcht vor dem Islam? Was hat die Religion mit dem Morden und dem Terror der IS-Truppen zu tun? Welche Gefahr geht von deutschen Dschihadisten aus? Wie stehen unsere Muslime zum Islamismus?“ sind reine Stimmungsmache, jedoch schlecht ausgearbeitet. Da frage ich mich: Wer hat diese Fragen formuliert? Sollen die Gäste in dieser Sendung diese Fragen beantworten (können)? Meiner Meinung nach ist das (auch abschließend) unmöglich und von vorneherein tendenziös.
Wie würde ich die Fragen beantworten?
„Wie berechtigt ist die Furcht vor dem Islam?“ Vor einer Religion per se kann man keine Furcht haben. Wovor man Furcht haben kann, das sind die Menschen, die die Religion für ihre eigenen Machtgelüste und den Qur’an zu ihren Zwecken missbrauchen. Angst vor Religion – nein. Angst vor Menschen, die Religion missbrauchen – ja.
„Was hat die Religion mit dem Morden und dem Terror der IS-Truppen zu tun?“ Sie hat insofern damit zu tun, dass die IS den Qur’an für ihre Zwecke missbraucht und Qur’anverse herauszieht, um ihre Aktivitäten zu legitimieren. Dass das aus islamischer Sicht völlig verkehrt ist, wissen die meisten Muslime, nur wissen sie nicht, wie sie das gegenüber Nichtmuslimen, die das nicht wissen, argumentieren können. Dazu muss man sich in der islamischen Lehre, insbesondere im Qur’an (relativ) gut auskennen.
„Welche Gefahr geht von deutschen Dschihadisten aus?“ Gefahr geht von denen aus, die für die IS aus Deutschland ausgereist sind und nach dem Kampf wieder nach Deutschland zurückkehren, denn man weiß nicht, was mit ihnen im Kampf passiert ist und welches Gedankengut sie mitbringen und ob oder wie sie es hier umsetzen. Das ist gefährlich, insbesondere für das Allgemeinwohl und die Sicherheit unserer Gesellschaft. Zu diesem Thema kann viel gemacht werden – Volker Beck hat es in der Sendung „hart aber fair“ vergangenen Montag gut aufgezeigt (der einzige, der in dieser Sendung vernünftige Worte von sich gegeben hat).
„Wie stehen unsere Muslime zum Islamismus?“ Diese Frage kann von den Gästen in dieser Sendung nicht beantwortet werden, auch nicht abschließend von den muslimischen Gästen, denn sie vertreten nicht die Muslime in Deutschland. Man muss zudem zwischen Islam und Islamismus unterscheiden, was viele nicht tun bzw. weder wissen was der islamische Glaube wirklich beinhaltet noch was der Begriff Islamismus bedeutet.
Der Islam rechtfertigt nicht das willkürliche Töten und ist auch keine grausame Religion, sondern hat hohe moralische Werte:
„Deswegen haben Wir den Kindern Israels verordnet, dass, wenn irgendeiner einen Menschen tötet – es sei denn (als Strafe) für Mord oder für Verbreiten von Verderbnis auf Erden -, es sein soll, als ob er alle Menschheit getötet hätte; während, wenn irgendeiner ein Leben rettet, es sein soll, als ob er alle Menschheit das Leben gerettet hätte.“ (Qur’an 5:32)
Dazu passt auch der folgende Vers: „Und kämpft für Gottes Sache gegen jene, die Krieg gegen euch führen, aber begeht keine Aggression – denn, wahrlich, Gott liebt Aggressoren nicht.“ (Qur’an 2:190)
„Gott sagt uns im Qur’an, dass wir uns nicht selbst töten sollen, dass das Leben heilig ist und dass wir nicht überschreiten sollen (Qur’an 4:29-30 und 2:195).
Wenn jemand uns angreift undbekämpft, können wir uns selbst verteidigen, aber wir haben keine Erlaubnis mehr zum Kampf, wenn sie sich entscheiden den Krieg zu unterlassen (Qur’an 4:90).
Wir dürfen auch keinen Gläubigen töten; bevor wir also zurückschlagen, müssen wir absolut sicher sein. Die Meinungs und Religionsfreiheit ist des Weiteren eines der Hauptprinzipien des Qur’anischen Islam. Die Menschen können aufgrund ihres Glaubens nicht bestraft oder zu irgendetwas gezwungen werden (Qur’an 4:92-94, 18:29, 2:256, 10:99, 25:57, 50:45, 60:8-9, 73:19, 74:37, 76:29, 78:39, 80:12, 88:22, 109:6). Alles in allem bedeutet das, dass Selbstmordattentate, Flugzeugentführungen und Terrorismus anti-islamisch sind.“ (Quelle: http://www.alrahman.de )
Ein Schlagabtausch mit Qur’anzitaten hilft der gegenwärtigen Diskussion wenig bis gar nicht. Man kann den Qur’an lesen und analysieren, und sicherlich sind interessante Aufschlüsse in ihm zu finden – nicht nur für Muslime, sondern auch für Nichtmuslime – jedoch ist solcher Akt völlig ungeeignet, um Aussagen über die Gegenwart zu treffen. Es ist meiner Meinung nach absurd aus dem Qur’an Handlungsanleitungen für Terroristen und Islamisten im 21. Jahrhundert abzulesen, selbst wenn sie ihre Taten damit rechtfertigen sollten. Den Qur’an wortwörtlich zu nehmen ist genau das, was die Extremisten vorgeben zu tun. Deshalb: Die fulminante Diskrepanz zwischen Text und Wirklichkeit erzeugt genau die Grausamkeiten, die wir heute tagtäglich mitbekommen. Noch weniger hilfreich ist es, angesichts der Aussagen des Qur’ans, die – wie man obig hat lesen können – in vielen Dingen gar nicht eindeutig sind, alle Muslime in einen Topf zu werfen.
Als deutsche Muslimin kenne ich die Vorurteile gegenüber dem Islam und den Muslimen. Als Islamwissenschaftlerin, die sich mit dem Phänomen „Konversion zum Islam im 21. Jahrhundert“ intensiv auseinandergesetzt und beschäftigt hat, verstehe ich die Diskrepanz zwischen dem aktuellen Bild, welches sich in der Öffentlichkeit breitgemacht und insbesondere durch die Medienlandschaft geschürt und vertieft worden ist, und der Realität, was der islamische Glaube beinhaltet und die (Beweg-) Gründe, was den Islam für Menschen in der heutigen Zeit attraktiv macht. Und das hat, bis auf einzelne Ausnahmen (die es überall in allen Religionen gibt), nichts damit zu tun, dass man darauf hinaus ist „Gewalt im Namen Allahs“ anzuwenden und so den Islam durchzusetzen. Das Kernproblem, wahrscheinlich auch dieser Sendung, ist, dass mehr über als wirklich mit Muslimen gesprochen wird.
Die Muslime, die eingeladen werden, sind primär dazu da, um das Bild zu repräsentieren, wie es die Redaktion und der Sender sich wünschen, und nicht, um etwas Gutes daraus zu machen. Deshalb ist es enttäuschend, dass selten bis gar nicht gebildete Musliminnen und Muslime aus der Mitte der Gesellschaft eingeladen werden, um mitzudiskutieren und so das Bild der Muslime und des islamischen Glaubens zurechtzurücken und aufzuräumen.
Ich kann nur hoffen, dass man diese Sendung besser als die Sendung mit Güner Balci und Ferid Heider etc. sein wird, denn letztere war erstens schlecht vorbereitet, zweitens hat man einander selten ausreden lassen, und derjenige, der noch am Gelassensten war, bekam hinterher noch einen auf den Deckel, dass er überhaupt in der Sendung war. Gute Vorbereitung ist die halbe Miete, jedoch bezweifle ich auch in dieser Runde, dass dabei etwas Produktives herauskommt.
An die Redaktion und Herrn Jauch: Wenn Sie das Thema Islam und Muslime wieder behandeln, laden Sie bitte Gäste ein, die aus der Mitte der Gesellschaft kommen, die aber auch ein gewisses Verständnis vom islamischen Glauben und seiner Lehre haben und zudem religiös, wie wissenschaftlich, aber auch weltoffen und vernunftsorientiert sind, so dass sich eine produktive Diskussion mit eventuellen Lösungsansätzen ergeben kann.